Die Veranstaltung hat am 6. Dezember 2023 stattgefunden.
In der Veranstaltung „Ich, Zukunft und digitale Alltagshelfer“ erläuterten Expertinnen und Experten aus den BMBF-Förderprojekten den aktuellen Forschungsstand. Dabei gingen sie auch auf Chancen und Herausforderungen ein, die durch künstliche Intelligenz entstehen.
Die Aufzeichnungen zu den einzelnen Programmpunkten finden Sie in unserem Downloadbereich.
Digitale Alltagshelfer stehen für das Themenfeld der digitalen Assistenzsysteme. Diese Systeme sind ein wichtiger Bestandteil der vom BMBF-Referat „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität“ geförderten Projekte. Es geht uns dabei um Technologien, die entweder einen positiven Effekt auf die Gesundheit des Menschen haben, oder mit denen der Mensch seine Lebensqualität verbessern kann.
Aktuell ist bei digitalen Assistenzsystemen vieles im Wandel: Einerseits durch neue Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) und andererseits durch verbesserte Interaktionsmodalitäten: Systeme passen sich nicht nur immer besser an die Bedürfnisse und Gewohnheiten des Menschen an, sondern lernen gleichzeitig, dessen Absichten zu antizipieren. Sie können uns unterstützen, indem sie Handlungsoptionen anbieten und sinnvolle Vorschläge machen.
Bei der Forschungsförderung geht es uns nicht vorrangig um die Technologieentwicklung an sich. Unser Fokus liegt vielmehr auf der Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität der Menschen. Daher ist es uns auch besonders wichtig, dass Technologien so gestaltet sind, dass sie den Menschen zwar beraten und unterstützen, aber möglichst seine Entscheidungen nicht beeinflussen. Außerdem gilt es zu verhindern, dass der Mensch vor lauter Hilfestellungen seine eigenen Kompetenzen verlernt. All das wird in den aktuellen Förderprojekten bereits sehr gut umgesetzt.
Sibylle Quenett, Leiterin Referat im Referat 617 „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität“, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
In seinem Vortrag „Was kann der Mensch besser als KI?“ erläuterte Prof. Dr. Albrecht Schmidt von der LMU München die wissenschaftliche Herangehensweise an diese Fragestellung. Die Frage, ob KI besser sei als der Mensch, sei genauso wenig zielführend wie die Frage, ob ein Auto schneller sei. Bereits in den 1950er Jahren habe man sich während der ersten Welle der Automatisierung die Frage gestellt, inwiefern Maschinen den Menschen überlegen seien. Dahinter stehe das Konzept „HABA-MABA“: „Humans are better at…“, „Maschines are better at…“. Zielführend sei vielmehr die Frage, ob Menschen, die KI nutzten, Aufgaben besser oder schneller erledigen können, als Menschen, die keine KI nutzten. Und diese Frage sei zu bejahen.
Der Fortschritt der Künstlichen Intelligenz (KI) verlaufe nicht graduell. Bedingt durch höhere Rechenleistung oder neue Ideen entstünden Schwellenwerte, an denen bestimmte Features plötzlich funktionierten und daher besonders schnell flächendeckend genutzt werden würden. Prof. Schmidt betonte, dass es wichtig sei, dass Menschen sich je nach Aufgabenstellung bewusst für oder gegen die Nutzung von Assistenzsystemen entscheiden. Denn es gebe Aufgaben, die der Mensch selber erledigen möchte oder sollte, obwohl KI darin vielleicht schneller sei – z. B. spielen oder pflegen.
Einfluss von KI auf menschliche Handlungen
Laut Prof. Schmidt gebe es keine KI, die den Menschen im Zuge der Nutzung nicht in irgendeiner Form beeinflusse. Denn die von Assistenzsystemen vorgeschlagenen Handlungsoptionen beeinflussten den Menschen automatisch. Zudem hätten Studien ergeben, dass technische Assistenzsysteme einen „Placeboeffekt“ haben: Sobald Menschen glauben, dass KI ihnen helfe, erledigen sie ihre Aufgaben besser und schneller. Gleichzeitig werden sie risikobereiter. Assistenz wird zwar vorrangig für Menschen entwickelt, die irgendeine Art von Defizit haben. Prof. Schmidt zufolge wird sie jedoch oft von Menschen ohne Defizit genutzt, um noch besser bzw. schneller zu werden.
In der Podiumsdiskussion „Auf ein Wort“ ging es um Chancen und Risiken digitaler Alltagshelfer sowie deren Anwendungsbereiche im pflegerischen Setting. Dr. Regina Schmeer, Pflegewissenschaftlerin an der Medizinischen Hochschule Hannover, erklärte, dass sich digitale Assistenzsysteme aus verschiedenen Gründen sehr zögerlich im pflegerischen Bereich durchsetzen. Neben technischen Rahmenbedingungen und finanziellen Gründen nennt sie die Infrastruktur: Technische Systeme erfordern häufig flächendeckendes Netz, das in vielen Pflegeeinrichtungen nicht vorhanden sei. Auch erschwere die Tatsache, dass pflegerisches Handeln vor allem im ambulanten Bereich sehr situativ sei, deren Einsatz.
Station der Zukunft
Dr. Schmeer erläuterte, wie die „Station der Zukunft“ des Pflegepraxiszentrums Hannover bei der Erprobung technischer Innovationen im Pflegesetting vorgeht. Allem voran stehe die Bedarfsanalyse, in der nicht nur der Bedarf der Pflegebedürftigen, sondern auch der der Pflegenden ermittelt werde. Darauf folge die Produktsuche, die sich oftmals schwierig gestalte, weil die Produkte vor Einsatz in der akutstationären Pflege bereits als Medizinprodukte zugelassen sein müssten. Die Technologien würden unter zahlreichen Gesichtspunkten wie ethischen oder datenschutzrechtlichen Aspekten geprüft, bevor ein pflegerischer Ausschuss im Rahmen von Workshops darüber entscheide, ob sie auf der Station evaluiert werden sollen. Die Erprobung erfolge wiederum unter verschiedenen Aspekten und ziehe bei positivem Ergebnis einen Langzeiteinsatz nach sich.
Nutzen steht im Vordergrund
Neben einer intuitiven Bedienbarkeit und Zuverlässigkeit stehe und falle der Einsatz von Technologien in der Pflege vor allem mit deren Nutzen für Pflegende und Pflegebedürftige. Technische Systeme, die auf der „Station der Zukunft“ hoch evaluiert wurden, tragen Dr. Schmeer zufolge keine KI in sich und seien auch nicht an das Krankenhausinformationssystem angebunden. So würden zum Beispiel sanft umlagernde Matratzen zur Dekubitusprävention sehr gut angenommen. Die Matratzen ersparten nicht nur schmerzhafte Umlagerungen, sondern sorgten zudem dafür, dass Patientinnen und Patienten durchschlafen.
Auch des Assistenzsystem „Double“ sei gut erprobt. Dieses mobile Tablet eigne sich zur Teilnahme an sozialen Ereignissen aus der Ferne. Bei langem stationären Aufenthalt könne über den „Double“ eine Art Avatar am Ort des Geschehens eingespielt werden. Auch zur Unterstützung von Pflegepersonal z. B. im Intensivbereich eigne es sich. Da hier Daten übertragen und gegebenenfalls gespeichert werden, sollten im Vorfeld des Einsatzes datenschutzrechtliche Fragen geklärt werden.
Die Tover-Tafel ist Dr. Schmeer zufolge ein Touchscreen, der waagerecht als Tisch oder senkrecht als Bildschirm montiert werden kann. Er ermögliche es Menschen mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten, in Interaktion zu kommen, Spiele zu spielen, Musik zu hören oder Bilder anzuschauen. Hier lägen allerdings noch keine Langzeitstudien vor.
Autonome Systeme machten laut Dr. Schmeer in der Pflege vor allem als Serviceroboter, die Getränke oder Materialien bringen und dabei Laufwege abnehmen, Sinn. Weiteren Forschungsbedarf sieht Dr. Schmeer bei Telepräsenz-Systemen, der Vernetzung von Produkten und dem Aufbau einer telematischen Infrastruktur.
Prof. Dr. Andreas Hein entwickelt und erprobt mit seinem Team im Pflegeinnovationszentrum in Oldenburg in erster Linie kollaborative Robotik. Im Gegensatz zum Einsatz in der Industrie gelten für kollaborative Robotereinsätze im pflegerischen Setting wesentlich höhere Sicherheitskriterien. So sei unter anderem eine permanente visuelle Überwachung erforderlich.
Wichtig sei, dass die Pflegeroboter nicht autonom, sondern stets gemeinsam mit Pflegenden agieren. Sie sollen Prof. Hein zufolge besonders „feinfühlig“ sein und die Interaktion der Pflegefachkräfte mit den pflegebedürftigen Menschen nicht stören. Sie dienen vor allem dazu, Pflegende zu entlasten und so die pflegerische Arbeit zu erleichtern und gleichzeitig Pflegebedürftigen ein Stück Autonomie zurückzugeben. Humanoide Roboter erprobt Prof. Hein im Schulungsbereich. Mit ihrer Hilfe ließe sich z. B. lehren, Symptome seltener Erkrankungen zu erkennen.
Prof. Hein sieht Bedarf an der Erforschung von Systemen, die Informationen aus Pflegenden und Pflegebedürftigen „herauslesen“ können. Da Menschen auch bei Technik eine „menschliche Ansprache“ suchten, arbeite das Pflegeinnovationszentrum an der Ergänzung der Robotik um Bildschirme zur Information oder Interaktion. Auch bestehe Forschungsbedarf in Sachen teleunterstützte Pflege, vor allem auf dem Land.
9:00 – 9:15 Uhr Begrüßung
9:15 – 9:50 Uhr Keynote „Was kann der Mensch besser als KI?“
9:50 – 10:00 Uhr Pause
10:00 – 10:45 Uhr AUF EIN WORT
10:45 – 10:55 Uhr Pause
10:55 – 12:05 Uhr Parallele Breakout-Sessions
12:05 – 12:20 Uhr Pause
12:20 – 12:50 Uhr Flashback
12:50 – 13:00 Uhr Abschluss
Download: Detaillierte Agenda
Sibylle Quenett ist seit 2015 Referatsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Seit 2019 leitet sie das Referat „Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität“. Sibylle Quenett studierte Geschichte und Geographie in Freiburg und Santiago de Compostela. Im Anschluss hat sie zunächst für die BASF in der Werkzeitung gearbeitet sowie dann 24 Jahre für mehrere Zeitungen und in verschiedenen Positionen als Tageszeitungsjournalistin. In den 90er Jahren arbeitete sie als stellvertretende Pressesprecherin im Bundesumweltministerium – zunächst für Klaus Töpfer, dann für Angela Merkel. 2015 wechselte sie als Pressesprecherin ins BMBF.
Thomas Sauermann moderiert seit über 25 Jahren diverse Veranstaltungsformate in den Bereichen Industrie, Wirtschaft und Politik. Im Technologie-Umfeld widmete er sich bereits unterschiedlichsten Themen – darunter Robotik, Web3 und Blockchain und die Frage, welche Auswirkungen aktuelle technologische Entwicklungen auf die Gesellschaft von morgen haben. Nach dem Leitsatz „so einfach wie möglich und so komplex wie nötig“ stellt der gebürtige Berliner Expertinnen und Experten neugierig Fragen, geht Entwicklungen auf den Grund und vermittelt auch schwierige Zusammenhänge prägnant und unterhaltsam.
Albrecht Schmidt ist Professor für Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Direktor des Instituts für Informatik. Er hat dort den Lehrstuhl für Human-Centered Ubiquitous Media. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Intelligente Interaktive Systeme, Interaktion mit Künstlicher Intelligenz, Ubiquitäre Informationssysteme, Digitale Medientechnologien und Medieninformatik. Er studierte Informatik in Ulm und Manchester und promovierte 2003 an der University of Lancaster. Er wurde 2018 in die ACM SIGCHI Academy aufgenommen und 2020 in die Leopoldina gewählt.
Dr. Gregor Duwe arbeitet als Assistenzarzt in der Klinik für Urologie der Universitätsmedizin Mainz, eine der größten urologischen Abteilungen in Deutschland. Er ist Projektkoordinator des vom BMBF geförderten Verbundprojekts KITTU. Sein Medizinstudium sowie Promotion in der onkologischen Chirurgie erfolgte an der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit einem Forschungsaufenthalt am MD Anderson Cancer Center Houston, USA. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der urologischen Onkologie und Entwicklung eines KI-Assistenzsystems für interdisziplinäre, urologisch-onkologische Therapieentscheidungen im Rahmen des KITTU-Projekts.
Udo Frese ist Professor für multisensorische, interaktive Systeme an der Universität Bremen und assoziiert mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Sein Forschungsgebiet ist die Wahrnehmung der Umwelt über Sensoren und die Interpretation der Sensordaten durch Computerprogramme. Sein wissenschaftliches „Steckenpferd“ ist das weltmeisterliche Roboterfußballteam B-Human. Udo Frese hat bis 1997 Informatik in Paderborn studiert, dann am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen geforscht und darüber in 2004 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg promoviert. Seitdem arbeitet er an der Universität Bremen, seit 2008 als Professor.
Dr. Regina Schmeer ist Pflegewissenschaftlerin an der Medizinischen Hochschule Hannover und leitet seit 2008 die Stabsstelle Pflegewissenschaft. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind: angewandte Pflegewissenschaft, Akademisierung und Pflegeforschung mit dem Fokus auf Pflege und Technologie. Aktuell leitet sie die BMBF geförderten Projekte Pflegepraxiszentrum Hannover aus dem Cluster „Zukunft der Pflege“ sowie als Projektpartner Gesi-BK. Zuvor war sie als Lehrerin an verschiedenen Pflegeschulen tätig. Ihre berufliche Karriere startete sie als Pflegefachfrau arbeitete seitdem in verschiedenen Tätigkeitsbereichen – auch im Ausland. Sie engagiert sich u.a. in dem Netzwerk Pflegeforschung des Verbandes der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V.
Prof. Dr.-Ing. Andreas Hein ist Professor für Automatisierungs- und Messtechnik und leitet die Abteilung Assistenzsysteme und Medizintechnik im Department für Versorgrungsforschung an der Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften der Universität Oldenburg. Er ist Mitglied des Vorstands des OFFIS-Institut für Informatik und erforscht Robotik für die Unterstützung Pflegender und älterer Menschen.
Johanna Benz arbeitet als graphic recording artist und übersetzt Vorträge und Gespräche simultan in Bilder. Zusammen mit Tiziana Beck hat sie graphicrecording.cool vor 10 Jahren gegründet und entwickelt individuelle grafische Aufzeichnungsformate für Konferenzen, Workshops, Symposien oder performative Events. Durch den Live-Zeichnungsprozess illustriert und kommentiert sie sowohl Fakten als auch subjektive Bilder mit dem Ziel, neue Verbindungen zwischen visueller und angewandter Kunst, Wissenschaft, Forschung und Bildung herzustellen. Johanna Benz lebt mit ihrer Familie in Leipzig.
Marcus Hammerschmitt, geb. 1967 in Saarbrücken. Schriftsteller, Journalist, Fotograf. Bisher 23 Bücher (darunter Romane, Erzählungen, Jugendromane, Essays, Gedichte) innerhalb und außerhalb der Fantastik. Zuletzt „Rom“ (Fantastische Erzählung, Schiler & Mücke, Berlin u. Tübingen, 2021) und „Halbdunkles Licht“ (Gedichte, Schiler & Mücke, Berlin u. Tübingen, 2022). Lebt heute in Schleswig-Holstein.
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